Diabetes Früherkennung
Die Präsidentin des BdKJ, Jutta Bürger-Büsing, im Gespräch mit Dr. Daniela Klee
Seit wann führen Sie in Ihrer Praxis Früherkennungsuntersuchungen auf Typ-1-Diabetes durch und was hat Sie dazu motiviert?
Wir Kinderärzte in Hessen und Rheinland-Pfalz können seit Mai 2025 an dem Screening Programm Fr1da zur Früherkennung von Diabetes mellitus Typ 1 teilnehmen. In unserer Kinder- und Jugendarztpraxis mit diabetologischem Schwerpunkt in Bürstadt wird seit Mai 2025 das Screening für alle Kinder im Alter von 2-10 Jahren angeboten. Im Falle eines positiven Befundes betreuen wir als Schulungszentrum die Eltern mit ihren Kindern.
Diabetes mellitus ist eine sehr häufige Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Jährlich erkranken ca. 4.100 Kinder und Jugendliche neu an Diabetes mellitus Typ 1. In Deutschland ist aktuell etwa 1 von 250 Kindern und Jugendlichen davon betroffen. Fast 90 Prozent der Kinder haben keinen Verwandten mit Typ-1-Diabetes, die Erkrankung kann also jedes Kind treffen.
Ich betreue seit über 20 Jahren Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes und deren Eltern. Bisher konnten wir den Diabetes erst behandeln, wenn die Erkrankung ausgebrochen war und es den Kindern sehr schlecht ging. Viele Kinder wurden auf der Intensivstation behandelt, da die Übersäuerung des Blutes, die Ketoazidose, zu lebensgefährlichen Veränderungen des Körpers geführt hatte.
Der Tag, an dem sie wegen des Diabetes notfallmäßig ins Krankenhaus mussten, bleibt allen Kindern und deren Eltern in Erinnerung. Auch der Krankenhausaufenthalt, vor allem auf der Intensivstation, mit allen invasiven Maßnahmen, können die Kinder auch Jahre nach der Manifestation noch exakt beschreiben.
Durch die Früherkennung kann ich zwar im Moment den Ausbruch der Erkrankung nicht verhindern, aber durch das frühe Wissen, wie ich mich verhalte, wenn die Blutzucker steigen, kann ich die Akut-Aufnahme in die Klinik, den Aufenthalt auf einer Intensivstation und die lebensgefährliche Ketoazidose verhindern.
Ich sehe in der Früherkennung eine Chance, durch den frühen Beginn der Insulintherapie die Einstellung deutlich zu verbessern und Blutzuckerschwankungen zu reduzieren.
Durch eine frühzeitige Schulung und Vorbereitung der Eltern kann ich nachweislich die Lebensqualität der Familien steigern, da Unsicherheiten und Ängste in Bezug auf den Diabetes vermindert werden.
In den USA ist seit 2022 für Kinder ab 8 Jahren bereits eine Therapie zugelassen, die bei einem Frühstadium des Typ-1-Diabetes zum Einsatz kommt und den Ausbruch der Erkrankung verzögert. Dies ist ein vielversprechender präventiver Ansatz, der eventuell auch schon bald in Deutschland für die Kinder und Jugendlichen mit einem Frühstadium des Typ-1-Diabetes verfügbar ist.
Durch die Früherkennung können die Kinder frühzeitig an innovativen Präventions-Studien teilnehmen.
Alle diese Aspekte motivieren mich, nicht abzuwarten, bis der Diabetes ausbricht, sondern die Diagnose „Frühstadium Typ-1-Diabetes“ schon vorab stellen zu können.
Wie sieht der Ablauf einer Früherkennung bei Ihnen konkret aus? Welche Tests kommen zum Einsatz?
Alle Eltern mit Kindern zwischen 2 und 10 Jahren, die unsere Praxis wegen einer Vorsorge, Impfung oder aus anderen Gründen besuchen, werden auf die Möglichkeit einer Früherkennung von Typ-1-Diabetes angesprochen. Außerdem werden die Eltern über unsere Praxis-App benachrichtigt.
Nach einem ausführlichen Gespräch, haben die Eltern die Möglichkeit, bei uns einen Termin für eine Blutentnahme, bei der einige Tropfen Kapillarblut aus der Fingerbeere entnommen werden, zu vereinbaren. Die Probe wird im Rahmen der Fr1da Studie nach München geschickt und dort untersucht. Es werden die Antikörper im Blut getestet, die verantwortlich sind für die Zerstörung der insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse.
Nach ca. 8 Wochen erhalten wir das Ergebnis, das wir den Eltern in einem Gespräch mitteilen. Nach 12 Monaten haben die Eltern die Möglichkeit, ein zweites kostenloses Screenings durchführen zu lassen. Durch zwei Untersuchungen, deren Abstand am optimalsten 3 Jahre betragen sollte, können fast 80% der Fälle von Typ-1-Diabetes erkannt werden.
Für welche Kinder (z. B. Alter oder familiäre Vorbelastung) empfehlen Sie die Teilnahme besonders?
Die Fr1da Studie kann bei Kindern im Alter von 2-10 Jahren, die in Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Sachsen wohnen, durchgeführt werden. Diese Untersuchung ist für Eltern kostenlos. Zusätzlich gibt es deutschlandweit die Möglichkeit, Personen im Alter von 1-21 Jahren von Verwandten ersten oder zweiten Grades mit Typ-1-Diabetes zu testen.
Ich empfehle allen Kindern und Jugendlichen, die die Möglichkeit dazu haben, die Teilnahme an der Fr1da Studie.
Wie reagieren Eltern auf das Angebot – eher interessiert oder auch manchmal skeptisch?
Viele Eltern sind sehr interessiert an der Früherkennung von Diabetes mellitus Typ 1.
Eine Früherkennung von chronischen Krankheiten ist den Eltern bereits seit der Geburt ihres Kindes bekannt, da sich fast 100% der Eltern für das sogenannte „Neugeborenen-Screening“ entscheiden, bei dem auf das Vorliegen von chronischen Erkrankungen, die unbehandelt einen schweren Verkauf nehmen könnten, getestet wird. Hier wird ebenfalls Kapillarblut, meist aus der Ferse, entnommen und auf angeborene Stoffwechselerkrankungen getestet. Da die Antikörperbildung bei Diabetes mellitus Typ 1 erst in den ersten beiden Lebensjahren beginnt und sich schleichend über Monate bis Jahre entwickelt, ist hier eine Testung zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll.
Wenn ich das Wissen habe, dass mein Kind ein Frühstadium Diabetes mellitus Typ 1 hat, habe ich als Eltern die Möglichkeit, frühzeitig den Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen. Das motiviert viele Eltern, das Screening bei ihrem Kind durchführen zu lassen.
Wichtig für uns als Praxis-Team ist es, auf individuelle Fragen der Eltern einzugehen und diese ehrlich zu beantworten. Wenn beispielsweise in der aktuellen Blutprobe keine Antikörper nachweisbar sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein Diabetes mellitus Typ 1 auftritt.
Was passiert, wenn bei einem Kind tatsächlich der Nachweis von zwei oder mehr Autoantikörpern vorliegt? (Damit gilt der Diabetes Typ1 bereits als "diagnostiziert" – jedoch im Stadium 1, also vor Ausbruch der Krankheit.)
Wenn nach der ersten Antikörpertestung zwei oder mehr Beta-Autoantikörper vorliegen, wird dieser Befund durch das Einsenden einer zweiten Blutprobe verifiziert. Ist die zweite Probe ebenfalls positiv, ist die Diagnose „Frühstadium Diabetes mellitus Typ 1“ gesichert. Das bedeutet, dass der Diabetes noch nicht ausgebrochen ist, aber die Antikörper, die ursächlich für die Erkrankung verantwortlich sind, bereits nachweisbar sind.
Nachdem die Diagnose „Frühstadium Typ-1-Diabetes“ gestellt wurde, können die Eltern mit Kind einen Termin in dem nächst liegenden Schulungszentrum vereinbaren. Hier findet ein sogenanntes „Staging“, also eine Stadieneinteilung in Früh-Stadium 1,2 oder 3 statt. Das Frühstadium 1 besagt, dass die Blutzuckerwerte noch im Normbereich liegen, beim Stadium 2 liegen bereits vereinzelt erhöhte Blutzuckerwerte vor, von Stadium 3 spricht man bei andauernd hohen Blutzuckerwerten. Ab Stadium 3 wird mit einer Insulintherapie begonnen. Die Eltern erhalten ein Blutzucker Messgerät für zu Hause, um regelmäßige Messungen durchführen zu können, und eine Einweisung in das Gerät. Die Einteilung in die Stadien, die Schulung, das Monitoring und die psychosoziale Unterstützung werden von den Diabetes-Zentren übernommen. Die Eltern werden an ein Diabeteszentrum fest angebunden, das heißt, sie bekommen regelmäßige Termine, und werden auf alles vorbereitet, was für sie und ihr Kind bezüglich der Diagnose „Frühstadium Typ-1-Diabetes“ wichtig ist. Im Rahmen einer speziellen Schulung wird erklärt, auf welche Symptome die Eltern in Zukunft achten sollten. Außerdem erhalten sie weitere Informationen über mögliche neue Behandlungsansätze und Studien zur frühen Prävention.
Welche Vorteile bietet die Früherkennung aus Ihrer Sicht für die langfristige Gesundheit und Lebensqualität der betroffenen Kinder?
Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass von 100 Kindern mit 2 oder mehr Inselautoantikörpern ca. 50 Kinder innerhalb von 5 Jahren und alle 100 Kinder innerhalb von 20 Jahren eine Insulinbehandlung benötigen. Die Kinder bzw. jungen Erwachsenen sind durch die Schulung und durch die regelmäßigen, meist 6-monatlichen, Termine im Schulungszentrum vorbereitet und können durch den frühen Beginn der Insulintherapie eine bessere Einstellung erreichen.
Aktuell wird weltweit intensiv an Behandlungsansätzen geforscht, den Beginn des Diabetes mellitus Typ 1 zu verzögern bzw. zu verhindern. Die Früherkennung identifiziert die Menschen, die von diesen Behandlungsansätzen profitieren.
Gibt es aus Ihrer praktischen Erfahrung eine Situation oder ein Fallbeispiel, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Jedes Kind, das mit den typischen Symptomen eines Typ-1-Diabetes in meine Praxis kommt, bleibt mir in Erinnerung. Für mich als Diabetologin ist dies oft eine Blick-Diagnose und sehr schnell klar, was das Kind hat. In der Realität kommt die Erst-Diagnose oft sehr spät, da die Symptome über Wochen sehr schleichend beginnen. Die Kinder nehmen an Gewicht ab, trinken sehr viel, nässen nachts wieder ein und sind extrem müde und antriebslos. Meist besteht ein gesteigerter Appetit. Wenn die Eltern dann zum Arzt gehen, sind die Blutzucker oft schon sehr hoch bis nicht mehr messbar.
Nach der Diagnosestellung ist es extrem wichtig, sich ohne Zeitdruck am besten mit beiden Eltern zusammenzusetzen und den Eltern zu erklären, was die Diagnose für sie und ihr Kind bedeutet, auf der einen Seite mit klarer Sachlichkeit über Fakten aufzuklären und auf der anderen Seite die Eltern aufzufangen und Mut zu machen, dass dies eine Aufgabe ist, die zu schaffen ist.
Dieses Erst-Gespäch bleibt mir und den Eltern immer in Erinnerung.
Welche Hürden oder Herausforderungen sehen Sie aktuell noch in der breiten Etablierung solcher Programme in der Versorgung?
Die Aufklärung, Durchführung und Schulung der Kinder und Eltern kostet den ausführenden Arzt und das Praxis-Team viel Zeit. Es müssen Räumlichkeiten vorgehalten werden, es muss genug Personal für die Organisation, Vorbereitung und Durchführung verfügbar sein. Die Aufwandsentschädigung von 10 Euro pro Kind deckt nicht die reellen Kosten, die durch das Screening entstehen. Die Prävention von Erkrankungen ist mir extrem wichtig, daher nehmen wir an der Studie teil. Aktuell im Sommer können wir mehr Patienten in die Studie einschließen, wenn im Winter die Praxis aufgrund der Infektwellen wieder gut gefüllt ist, wird auch bei uns leider weniger Zeit für die Fr1da Studie bleiben.
Was wünschen Sie sich von Gesundheitspolitik und Öffentlichkeit, um Früherkennung stärker zu fördern?
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen bereits die Kosten für das Neugeborenen-Screening nach der Geburt. Ich würde mir wünschen, dass die Früherkennungsuntersuchung auf Diabetes ebenfalls eine Leistung der gesetzlichen Krankassen wird, da der Diabetes eine deutlich häufiger auftretende Erkrankung ist als die im Neugeborenen-Screening getesteten Krankheiten. Die Früherkennung auf Diabetes könnte dann den Kindern aus allen Bundesländern angeboten werden.
Vom Bundesministerium für Gesundheit wünsche ich mir, dass die Früherkennung des Diabetes als Thema aufgenommen und darüber aufgeklärt wird, beispielsweise auf der Homepage. Es könnte durch Werbung wie Plakate in der Öffentlichkeit auf die Möglichkeit der Testung hingewiesen werden. Die Öffentlichkeit müsste darüber aufgeklärt werden, dass Diabetes jeden treffen kann und es die Möglichkeit gibt, präventiv tätig zu werden.
Wichtige Links
Hier der Kontakt und Link zur Praxis unserer Gesprächspartnerin Dr. Daniela Klee Praxis Dr. Klee, Kinderärztin
Wenn du mehr über die Teilnahme in deiner Region erfahren möchtest, kannst du dich auch auf der Webseite www.fr1da.de informieren.

Unsere Gesprächspartnerin
Dr. Daniela Klee
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin (Kinderdiabetologie)












